Wenn Wissenschaft auf Pflege trifft
Mit zunehmendem Alter der Bevölkerung ist es unwahrscheinlich, dass der Bedarf an Pflegeeinrichtungen für ältere Menschen sinken wird. Doch wie sollten solche Einrichtungen gestaltet sein, damit sie uns im Alter eine hohe Lebensqualität bieten können? Helle Wijk, Professorin für Pflegewissenschaft an der Universität Göteborg und Gastprofessorin für Architektur im Gesundheitswesen an der Universität Chalmers, beschäftigt sich seit Jahren mit dieser Frage. "In den letzten 25 Jahren gab es in der Forschung große Fortschritte", berichtet sie. "Es findet eine intensive Kooperation zwischen den Gesundheits- und Architekturwissenschaften statt, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene. Das zeigt, wie weit wir gekommen sind. Zudem investieren Finanzgeber vermehrt in diese Forschung, und die Kommunen sind sich des Forschungsbedarfs bezüglich der von ihnen zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten stärker bewusst."
Eine auf den Menschen ausgerichtete und heimelige Pflegeumgebung schafft nach Wijk die besten Voraussetzungen dafür, dass sich die Bewohner wohl fühlen. In ihrer Dissertation aus dem Jahr 2001 zeigte sie, wie Farbgestaltung zur Verbesserung der Pflegeumgebungen für ältere Menschen beitragen kann. "Mit dem Alter verschlechtert sich unsere Sehkraft und unsere Fähigkeit, Kontraste zu erkennen. Farbcodes und Kontraste können aber genutzt werden, um Orientierung zu bieten, die Nutzung bestimmter Bereiche zu erleichtern und Räume abzugrenzen." Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Beleuchtung. Angemessenes Licht kann betagteren Menschen helfen, das Essen auf ihrem Teller zu erkennen oder die Zeitung zu lesen.
Auch die Mobilität ist ein Thema: Ältere Menschen haben oft Schwierigkeiten, weite Wege zurückzulegen und sich zu orientieren, besonders nachts. Daher sollten Pflegebereiche möglichst kompakt gestaltet sein, um lange Wege zu vermeiden. "Die Distanz zwischen Schlafzimmer und Bad ist entscheidend, da hier viele Stürze passieren. In einer gut gestalteten physischen Pflegeumgebung sollte niemand auf unsicheren Beinen im Dunkeln nach dem Badezimmer suchen müssen."
Eine angemessen entworfene Pflegeumgebung für ältere Personen bietet auch Wahlfreiheit für die Nutzenden, unterstreicht Helle Wijk. Dies umfasst unter anderem Platz für persönliche Möbel sowie Optionen für Rückzugsmöglichkeiten und sozialen Austausch. „Senor*innen sind Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, genau wie Sie und ich. Manchmal möchte man gemeinsam mit anderen essen, ein anderes Mal bevorzugt man es, alleine zu sein. Einzelne Sessel zum Beispiel können für diejenigen bereitgestellt werden, die in Ruhe lesen möchten, während Sitzgruppen für diejenigen angeboten werden, die gesellige Konversation schätzen.“
Es stellt sich also die Frage: Wie gut sind eigentlich unsere Pflegeeinrichtungen gestaltet?
„Das variiert stark. Viele Einrichtungen entstanden in den 1970er- und 1980er-Jahren und ähneln mit ihren langen Fluren und der Raumaufteilung kleinen Krankenhäusern. Aber es gibt auch herausragende Beispiele neuerer Einrichtungen, in die bewusst investiert wurde, um sowohl im Inneren als auch im Außenbereich eine heimische Atmosphäre zu schaffen.“
Was lässt sich über den aktuellen Zustand der Außenbereiche aussagen, die älteren Menschen zur Verfügung stehen?
„Allzu häufig verfügen Pflegeeinrichtungen über gar keine Außenanlagen, und falls doch, sind diese schlecht zugänglich oder bieten keinen ausreichenden Schutz vor Sonne und Wind. Jede und jeder sollte Zugang zu qualitativ hochwertigen Außenbereichen haben, unabhängig vom Alter.“
Was können wir in Zukunft besser machen?
„Ein guter Anfang wäre, älteren Menschen mehr Gehör zu schenken und ihre Ansichten ernst zu nehmen. Das Konzept des partizipativen Designs, also die aktive Einbeziehung von Nutzenden und Stakeholdern in den Gestaltungsprozess, wird in der Forschung schon lange praktiziert. Es muss auch im kommunalen Gesundheitswesen und in der Pflegepraxis angewendet werden. Generell nimmt die Implementierung von Forschungsergebnissen in die Realität viel zu lange Zeit in Anspruch.“
Warum, glauben Sie, ist das der Fall?
„Der Austausch zwischen Wissenschaft, Gesundheitswesen und Pflege war nicht ausreichend. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass die Forschungsergebnisse, die wir erzielt haben, auch in die Tat umgesetzt werden – durch die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik und den Medien.“
„Ältere Menschen sind Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, genau wie Sie und ich.”
6 Tipps für bessere Pflegeeinrichtungen
1.
Wahlmöglichkeiten und Anregungen schaffen
Im Innen- wie im Außenbereich sollten durchdachte Designvarianten für Abwechslung sorgen.
2.
Farbkontraste und Codes verwenden
Diese erleichtern Orientierung und Mobilität und tragen zur Prävention von Unfällen bei.
3.
Beleuchtung bedarfsgerecht anpassen
ine Schlüsselkomponente für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Bewohner*innen.
4.
Möbel in der richtigen Höhe wählen
Sitzgelegenheiten müssen so gestaltet sein, dass das Hinsetzen und Aufstehen unkompliziert möglich ist.
5.
Partizipation im Gestaltungsprozess
Die Perspektiven und Wünsche der Nutzer*innen sollten grundlegend in die Planung einfließen.
6.
Außenräume benutzerfreundlich gestalten
Diese sollten ohne Barrieren erreichbar, sicher, vielseitig sowie geschützt vor Wettereinflüssen sein.